Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen: „Nun muss ich fort und darf den ganzen Sommer nicht wiederkommen.“ „Wo gehst du denn hin, lieber Bär?“ fragte Schneeweißchen. „Ich muss in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde hartgefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgetaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen; was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder an des Tages Licht.“ Schneeweißchen war ganz traurig über den Abschied , und als es ihm die Türe aufriegelte und der Bär sich hinausdrängte, blieb er an dem Türhaken hängen, und ein Stück seiner Haut riss auf, und da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen; aber es war seiner Sache nicht gewiss. Der Bär lief eilig fort und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Rumpelstilzchen
Rumpelstilzchen

Deutung: Viele Menschen begegnen uns im Leben, umgeben von einer Hülle, die ihr wahres Wesen verbirgt. Nicht immer sind sie so sympathisch und gutmütig, wie der dicke schwarze Bär hier im Märchen – und doch gibt es seltene Momente, wo auch wir bei unseren Mitmenschen so etwas wie „Gold“ durchschimmern sehen. Tatsächlich sind das oft Situationen des Abschiednehmens, die den Alltag nebensächlich erscheinen lassen und den Blick frei machen für das Eigentliche, das Wesenhafte, das Liebenswerte des Anderen. Mitunter ist uns die Gnade dieses besonderen Erkennens aber auch erst im letzten Abschiednehmen gegeben – dann, wenn ein Mensch stirbt. Nun, hier im Märchen handelt es sich nur um eine vorübergehende Trennung. In der Zwischenzeit haben die Mädchen einiges zu durchleben, das ihre Tugendhaftigkeit auf harte Proben stellt. Aber am Ende kommt es zur Vermählung der beiden Mädchen mit dem Königssohn und seinem Bruder. Und der Zwerg, der habgierig seine Schätze beiseite räumen wollte, verliert diese – und sein Leben.